Montag, 11. Juli 2011

Lebenszeit als Belichtungszeit I.


"Photograf zu sein, heißt nicht nur hinzusehen, sondern auch dem Blick des Anderen standzuhalten." (Chris Marker)

Eine furiose Analyse eines Bildes des spanischen Malers Diego Velázquez diente Michel Foucault dazu, dem Westen die Krise der Repräsentation zu erklären wie einen Krieg. Foucaults Fragen gibt der 13.12.1948 in Linz am Rhein geborene, und 27.10.2008 in Arnsberg gestorbene, Peter Meilchen zurück an die Kunst: Was ist eigentlich zu sehen?

Wer als Betrachter auf eine einfache Antwort hofft, wird vor Meilchens Arbeiten kapitulieren müssen. In der Perpetuierung des Veränderlichen ist die Zeitlichkeit beschlossen – und mit ihr natürlich die Vergänglichkeit, das Abschnurren der Zeit, wie es in Meilchens Werk vorgeführt wird.

„Was kann ein fotografisches Abbild leisten? Wie viel Innenleben kann es nach außen kehren?“ Solchen Fragen hat sich Peter Meilchen Zeit seines Lebens gestellt. Das Photo hört auf, die Wahrhaftigkeit des Dargestellten zu behaupten. Es ist kein Beweis mehr. Es geht um das Bild, nicht um die Wirklichkeit. So sind bei seinen Arbeiten eigenartige Verschiebungen entstanden, die doch aber auch eine gewisse Faszination auslösen. Diesen Effekt hat Roland Barthes mit dem “punctum” für das Betrachten von Photografien beschrieben: Der Reiz liegt oft in den unbeabsichtigten Nebensachen, einem Blick, einem Detail, das nicht ins Bild paßt und gerade deshalb besticht. „Was die Natur der Photographie begründet«, schreibt Roland Barthes in »Die helle Kammer«, „ist die Pose. Dabei ist die reale Dauer dieser Pose nicht von Belang; selbst während einer Millionstel Sekunde hat es immer noch eine Pose gegeben.“ Im Wissen um die Pose versucht der Peter Meilchen erst gar nicht, Inszeniertes zu kaschieren.

Peter Meilchen läßt sich Zeit, um er von der Zeit eingeholt zu werden, indem er sich dem reinen Schauen hingibt. Sein Geheimnis bleibt es, wie er aus der gelassenen Betrachtung Funken hervorzaubert, wie aus Beiläufigkeit Farben entstehen. Es ist schwer zu sagen, was die Bilder von Peter Meilchen zu Resonanzräumen macht; ihr Echo hallt lange nach. Gleichzeitig haben die Aufnahmen eine Präsenz, deren unmittelbarer Appell wie ein Zauberstab wirkt. Seine Photografie stellt nicht nur die Frage der Ähnlichkeit, sondern auch die nach der Identität. Diese Identität mit dem abgebildeten Objekt ist, wie schon Roland Barthes festgestellt hat, eine Fiktion: „Eine Photografie ähnelt immer nur einer anderen Photografie“, schrieb er in dem Essay »Die helle Kammer«. Das trifft auf die Bilder von Peter Meilchen zu, dessen betonte Gleichartigkeit nicht der Einfallsarmut, sondern der Konzentration auf ein Thema entspringt, in besonderem Maße zu. Er inszeniert lokale Eskalationen, von der Umgebung unbeachtete kreatürliche Exzesse, Momente des Kontrollverlusts und der energischen Entfaltung, in denen sich das Archaische inmitten urbaner Architekturen gegen jeden Ordnungswillen Bahn bricht. Einer Gesellschaft, die widerstandslos auf den Fortschritt einschwenkt, so diagnostiziert der Künstler, machen das kulturelle Unbewusste, die verdrängte Naturzugehörigkeit, der Körper, ein Wachstums– und Entfaltungswille den verdienten Strich durch die Rechnung. Die Bilder von Peter Meilchen zwingen die Welt in den Paarlauf, unversöhnlich und untrennbar in eins. So sind all die Zwillinge oder Doppelgänger nur eine Übertreibung des Wunsches, auf Erden nicht ganz alleine zu sein.
                                                        TV-Still (aus der Serie "Axus - Ich")
Erster Teil des Nachrufes von Matthias Hagedorn

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